Solche Hoffnungen werden genährt durch die Tatsache, dass Klimaschutz in der britischen Politik jahrelang höchste Priorität genoss. London war maßgeblich am Aufbau des Emissionshandelssystems in der EU beteiligt und war stets einer der stärksten europäischen Antreiber auf den jährlichen Weltklimakonferenzen der Vereinten Nationen.
Die Förderbedingungen für Offshore-Windkraft etwa waren in Großbritannien zuletzt so gut, dass selbst große Investoren aus Deutschland wie E.on oder RWE ihre Meereswindparks lieber in die Irische See oder vor die ThemseMündung bauten als vor die deutsche Nordseeküste. Gut möglich also, dass die Klimaschutzambitionen Großbritanniens auch nach einem EU-Austritt hoch bleiben.
Dennoch fußt die Hoffnung der Klimaschützer, dass die Briten dem Emissionshandelssystem auf jeden Fall treu bleiben werden, auch auf manch wackliger Annahme. So läge es nahe, dass Großbritannien nur dann nach norwegischer Art am CO2-Handel teilnimmt, wenn sich das Königreich auch auf norwegische Art zumindest dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) anschließt. Damit bliebe Großbritannien zwar mit dem EUBinnenmarkt assoziiert.
Doch die Aussicht, sich als EWR-Mitglied zahlreichen EU-Normen unterordnen zu müssen und zugleich hohe Mitgliedsgebühren zu zahlen, gilt bei den Ausstiegsbefürwortern alles andere als attraktiv. Gerade so eine Situation hatte man ja abgewählt. Lehnt die künftige britische Regierung ein solches Assoziierungsabkommen nach norwegischer Art ab, macht das auch die Teilnahme am Emissionshandel unwahrscheinlicher.
Schließlich dürften sowohl die weitere Teilnahme am Europäischen Emissionshandel als auch das Level der Klimaschutzambitionen insgesamt von der Zusammensetzung der künftigen britischen Regierung nach dem Rücktritt von Premier David Cameron abhängen.
Nach Einschätzung britischer Analysten ist unter den Brexiteers und EU-Skeptikern des Königreichs – ähnlich wie in der deutschen AfD – der Anteil von Klimaskeptikern besonders hoch. Zum Teil wird nicht nur der menschliche Einfluss auf das Klima infrage gestellt, sondern auch, dass ein Klimawandel überhaupt stattfindet. In einer neuen politischen Konstellation in Westminister könnten sich die bislang hohen britischen Klimaziele in Zukunft möglicherweise nicht mehr durchsetzen lassen.
In einer Studie hatte das politikwissenschaftliche Institut Chatham House in London bereits im Mai die energie- und klimapolitischen Folgen eines Brexit untersucht. Darin stellen die Autoren fest, dass Großbritannien nicht mehr an die offiziellen EU-Ziele gebunden sein würde, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 um 40 Prozent zu senken. Doch immerhin habe das Land mit dem “Climate Change Act” längst auch nationale Ziele bis 2050 definiert, die über die EU-Vorgaben hinausgehen.
“Eine Entscheidung, die EU zu verlassen, würde es für eine künftige britische Regierung jedoch einfacher machen, das britische Klimaschutzgesetz zu schwächen oder aufzugeben, da dies durch rein nationale Gesetzgebung geschehen könnte”, warnen die Autoren der Chatham-House-Studie. Tatsächlich hatte die britische Regierung erst vor wenigen Monaten angekündigt, die Förderung von Windkraft an Land schon ein Jahr vor dem eigentlich geplanten Zeitpunkt zu kürzen – aus Kostengründen, wie es offiziell hieß.
Für die Europäische Union kommt der Austritt Großbritanniens einem klimapolitischen Albtraum gleich. Denn bei der jüngsten Weltklimakonferenz in Paris war die Europäische Union neben den Einzelstaaten als eigenständiger Verhandlungs- und Vertragspartner aufgetreten. Jetzt müssen die dort getroffenen Beschlüsse zur CO2Vermeidung ohne einen der größten europäischen Kohlendioxidemittenten neu gerechnet und umgesetzt werden.
Resteuropa müsste sich dann darüber einig werden, ob und wie der wegfallende Anteil Großbritanniens am CO2Minderungsversprechen anderweitig in der EU verteilt wird. Oder definiert die Rest-EU für sich ein völlig neues Gesamtziel für CO2Einsparungen? Die Verhandlungen dürften in einer Härte geführt werden, die zur einer langjährigen Paralyse der europäische Klimaschutzpolitik führen könnten.
Denn durch den Wegfall der britischen Klimaschutzvorreiter verschiebt sich das Stimmenschwergewicht in der EU in Richtung Osten. Kohleländer wie Polen oder Tschechien könnten sich mit noch größerem politischen Gewicht gegen die west- und nordeuropäischen Musterschüler im Klimaschutz stemmen.
London hingegen kann sich nicht mehr den Klimaschutzzusagen anschließen, die Brüssel gegenüber den Vereinten Nationen abgegeben hatte. Die britische Regierung müsste wegen des Brexit der UN einen eigenen CO2-Minderungsplan vorlegen.
Wenn der weit hinter dem bisherigen Anspruchsniveau zurückbleibt, müsste sich London zwar möglicherweise internationale Kritik und schlimmstenfalls Sanktionen anderer Länder gefallen lassen, resümieren die Chatham-House-Experten. Allerdings sei “Großbritannien theoretisch frei, die Höhe seiner Ambitionen festzulegen.”
Analyst – Azra Karamovic
Quelle – www.welt.de